IFZ-Vorsorgestudie
Was fordert Pensionskassen heraus?
Ein Gespräch über Ein- und Aussichten mit Prof. Florian Schreiber, Initiator der IFZ-Studie Vorsorgeeinrichtungen 2023
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IFZ-Vorsorgestudie
Ein Gespräch über Ein- und Aussichten mit Prof. Florian Schreiber, Initiator der IFZ-Studie Vorsorgeeinrichtungen 2023
Die neue IFZ-Studie Vorsorgeeinrichtungen enthält erwartete und überraschende Erkenntnisse über aktuelle Herausforderungen und künftige Entwicklungen bei Sammelstiftungen und Gemeinschaftseinrichtungen. Im Gespräch mit Brigitte Succetti, Head Insurances & Collective Institutions bei ÃÛ¶¹ÊÓÆµ, liefert der Initiator der Studie, Prof. Florian Schreiber, interessante Erklärungen und Hintergründe zu den Resultaten.
ÃÛ¶¹ÊÓÆµ: Welches Resultat Ihrer Studie hat Sie 2023 am meisten überrascht?
Florian Schreiber: Wir beobachten den Markt der Sammelstiftungen und Gemeinschaftseinrichtungen (SGE) seit Jahren und kennen die Entwicklungen. Deshalb bleiben die ganz grossen Überraschungen aus. Es gab aber auch dieses Jahr Resultate, die insofern überraschend sind, da wir sie so nicht erwartet hatten.
Zum Beispiel?
Florian Schreiber: Zum Beispiel bei den grössten Herausforderungen oder bei den wichtigsten Verkaufsargumenten.
In der Studie hat uns die subjektive Innensicht interessiert – genauer: Was empfinden SGE als besonders herausfordernd? Wir hatten erwartet, dass Vorsorgeeinrichtungen mehrheitlich aufgrund der schwierigen Situation an den Finanzmärkten oder der tiefen Renditen auf risikoarme Investitionen besorgt sind. Weit gefehlt – als die grössten Herausforderungen empfinden die SGE die stetig zunehmenden Regulierungen, die schwierige Suche nach qualifizierten Fachleuten und die korrekte Umsetzung der Datenschutzbestimmungen in Bezug auf Cyber-Security.
Wie erklären Sie sich diese Rangliste?
Florian Schreiber: Wir wissen, dass viele firmeneigene Pensionskassen nicht zuletzt wegen der zunehmenden Regulierung ihre Selbstständigkeit aufgeben müssen – die hierfür notwendigen Ressourcen lassen sich bei diesen Einrichtungen auf zu wenige Versicherte umlegen, sodass keine Skaleneffekte realisiert werden können. Hinsichtlich des dringend benötigten Fachpersonals ist anzumerken, dass mit der Komplexität einer Aufgabe deren Eignung für ein Nebenamt rapide sinkt. Das Schweizer Milizsystem lässt sich nicht beliebig professionalisieren, was unter anderem auch die befragten Sammelstiftungen bei ihren Anschlüssen feststellen: Diese haben oft grosse Mühe, qualifizierte Arbeitnehmervertreter für den Stiftungsrat zu finden.
Das klingt plausibel – und doch erstaunt es, dass die Entwicklung der Finanzmärkte weniger herausfordernd sein soll.
Florian Schreiber: Wie bereits angedeutet, könnte dies am Unterschied zwischen objektiver Aussen- und subjektiver Innensicht liegen.
Setzen Sammeleinrichtungen (SE) andere Prioritäten als Gemeinschaftseinrichtungen (GE)?
Florian Schreiber: Bei beiden steht die Regulierung an erster Stelle: Unter den GE ist der Schnitt mit 4,38 von 5 Punkten etwas höher als bei den SE mit einem Schnitt von 4,12. Im letzten Jahr lag der Durchschnitt bei 3,74 Punkten – die Thematik ist also für beide sehr dringlich.
Signifikante Unterschiede gibt es bezüglich Grösse. Kleine SGE mit einer Bilanzsumme von weniger als 1 Milliarde haben die Regulierung mit einer durchschnittlichen Beurteilung von mehr als 4 am höchsten bewertet. Mittlere SGE (1–5 Milliarden) und grosse (über 6 Milliarden) betrachten die Regulierung hingegen nicht als grösste Herausforderung.
Sondern?
Florian Schreiber: Für mittlere SGE ist es der Fachkräftemangel, für die grossen steht die künftige Entwicklung der Finanzmärkte zuoberst. 2023 empfanden alle Segmente die Situation an den Finanzmärkten als weniger herausfordernd als im Vorjahr. ( 2023 ø 3,78 vs. 2022 ø 3,94)Â
Ist es wirklich so ungewöhnlich, wenn sich grosse Vorsorgeeinrichtungen am meisten um die Finanzmärkte sorgen? Wer viel hat, hat auch viel zu verlieren …
Florian Schreiber: Ich gehe davon aus, dass SGE mit über 10 Milliarden Anlagevermögen von Asset-Management-Dienstleistungen profitieren können und über spezialisierte Mitarbeitende verfügen – sie können demzufolge professioneller, effizienter und zielführender mit Finanzmarktrisiken umgehen.
Thema «Wachstum und finanzielle Stabilität»: Ist Wachstum für eine Vorsorgeeinrichtung objektiv wichtig?
Florian Schreiber: Unbedingt! Gemeinschaftseinrichtungen müssen sich im Wettbewerb attraktiv positionieren können. Das bedingt Skaleneffekte und Synergien – und diese werden erst durch Grösse möglich, also durch Wachstum. Der Verdrängungswettbewerb innerhalb der SGE hat dafür gesorgt, dass die Kunden anspruchsvoller geworden sind. Diese Ansprüche zu erfüllen, kostet Zeit und Geld.
Sind Wachstum und finanzielle Stabilität für SGE unvereinbare Gegensätze oder zwei Seiten der gleichen Medaille?
Florian Schreiber: Für eine Vorsorgeeinrichtung sollte Wachstum nie zulasten der finanziellen Stabilität gehen, wenngleich dieser Zielkonflikt schwierig zu lösen ist. Der Konkurrenzdruck könnte SGE in Versuchung führen, Kompromisse bei verschiedenen Leistungen einzugehen.
Sie erwähnen Skaleneffekte und Synergien. Wo liegt für Sie die kritische Grösse für Sammelstiftungen und Gemeinschaftseinrichtungen?
Florian Schreiber: Bei rund 10 Milliarden Franken Anlagevermögen – wobei gemäss Pensionskassenstatistik nur 24 von 1389 Vorsorgeeinrichtungen diese Schwelle erreichen. Vielleicht geniesst Wachstum auch deshalb nicht unter allen SGE die höchste Priorität; für drei Viertel der mittelgrossen SGE hat Wachstum eine mittlere bis hohe Bedeutung, für keine einzige aber eine sehr hohe.
Worauf achten potenzielle Neuanschlüsse bei der Wahl einer SGE?
Florian Schreiber: Wir haben die Frage anders gestellt: «Was macht Ihre Vorsorgeeinrichtung aus Ihrer Sicht attraktiv für Neuanschlüsse?» Sämtliche SGE-Segmente nennen «Online-Schnittstellen für Arbeitgeber» als zweitwichtigstes Differenzierungsmerkmal. Das finde ich erstaunlich, da man üblicherweise versucht, sich über Leistungen im Kerngeschäft zu differenzieren – beispielsweise durch möglichst ertragsreiche Anlagen oder stabile Renten.
Könnte es sein, dass potenzielle Kunden spezifisch nach Online-Tools fragen und SGE diesen Aspekt deshalb so hoch gewichten?
Florian Schreiber: Das ist eine mögliche Erklärung. In einem schwierigen Börsenjahr fällt es den meisten Vorsorgeeinrichtungen schwer, sich über ihre finanzielle Performance zu differenzieren: Der Regulator lässt wenig Spielraum bei den Anlagestrategien, zudem investieren SGE häufig in die gleichen passiven Fonds und erzielen folglich eine ähnliche Rendite. Aus der Innensicht werden deshalb Aspekte wie Online-Schnittstellen wichtig, um die Gestaltungsfreiheit für eine bessere Positionierung im Wettbewerb zu nutzen.
Das erklärt aber nicht, weshalb SGE gemäss Ihrer Studie einem vergleichbaren Leistungsausweis weniger Bedeutung beimessen als einer Online-Schnittstelle.
Florian Schreiber: Korrekt. Doch mit Online-Zugängen kann eine SGE unterstreichen, dass sie die Bedürfnisse von Arbeitgebern und Versicherten berücksichtigt. Problematisch wird es indes, wenn sich alle über das gleiche Alleinstellungsmerkmal differenzieren wollen …
Hat Ihre 2023er-Studie noch weitere überraschende Erkenntnisse gebracht?
Florian Schreiber: Nicht unerwartet, aber dennoch interessant ist die noch immer starke Rolle der Broker: 37% der SGE setzen beim Neugeschäft ausschliesslich auf Vermittler. Rund 20% leisten sich hingegen eine eigene Vertriebsorganisation und rund ein Drittel nutzt beide Wege. Die Hälfte aller Neuanschlüsse der SGE wurde vermittelt. Die Broker sind also nicht nur wichtig – sie haben auch viel Macht …
… und sie kosten die beruflichen Vorsorgeeinrichtungen einiges an Vermittlungshonoraren und Kommissionen … Warum und wie sind Broker für SGE so wichtig geworden?
Florian Schreiber: Broker kennen den SGE-Markt sehr gut und erbringen für ihre Kunden eine wichtige Dienstleistung. Angenommen, ein Arbeitgeber will sich einer Sammelstiftung oder einer Gemeinschaftseinrichtung anschliessen: Wie soll er vorgehen? Worauf muss er achten, wie viele und welche SGE sollen für eine Offerte angefragt werden? Hinzu kommt, dass sich die Angebote inhaltlich unterscheiden und ohne fachliche Unterstützung nicht sauber verglichen werden können. An dieser Stelle kommen die Broker ins Spiel.
Die Broker als Übersetzer?
Florian Schreiber: Quasi. Broker sorgen für Vergleichbarkeit der Angebote und vertreten in den Verhandlungen die Interessen des potenziellen Anschlusses. Der Anschluss wiederum muss dem Broker vertrauen können, dass er ihn versiert beraten und nach einer Lösung suchen wird, die optimal auf seine Bedürfnisse abgestimmt ist. Ein guter Broker wird möglichst neutral auch Schwachpunkte und Risiken einer Vorsorgelösung offen ansprechen.
Könnte es sein, dass Vorsorgeeinrichtungen bei der Akquise die harten Fakten wie Performance, Anlagerisiko, Deckungsgrad oder technischen Zins auch deshalb als nicht so attraktiv einstufen – weil sie tatsächlich nicht besonders attraktiv sind? Anders gefragt: Wie geht es den Sammelstiftungen und Gemeinschaftseinrichtungen in der Schweiz?
Florian Schreiber: Die gestiegenen Zinsen, die Inflation, der Ukrainekrieg und die damit verbundenen Turbulenzen an den Finanzmärkten haben die meisten Vorsorgeeinrichtungen viel Geld gekostet. 2021 zum Beispiel lag der Deckungsgrad von 84% aller SGE zwischen 110 und 125%. Ende 2022 bewegte sich noch knapp die Hälfte innerhalb dieser Bandbreite. Und viele haben auch ihre Wertschwankungsreserven weitgehend aufgebraucht.
Erkennen Sie bezüglich Anlagerisiko, Performance und Deckungsgrad einen Unterschied zwischen Sammelstiftungen und Gemeinschaftseinrichtungen?
Florian Schreiber: Zwischen Sammelstiftungen und Gemeinschaftseinrichtungen konnten wir keinen statistisch signifikanten Unterschied nachweisen – sehr wohl aber zwischen autonomen und teilautonomen Einrichtungen: Bei den Autonomen ist der Deckungsgrad signifikant höher, aber auch die Bandbreite der Schwankungen nach unten und oben. Das lässt sich nur bedingt darauf zurückführen, dass autonome Einrichtungen ein deutlich schlechteres Verhältnis zwischen Aktiven und Rentnern haben als teilautonome.
Werfen Sie zum Schluss bitte noch einen Blick in die Kristallkugel: Wo erwarten Sie 2024 bei Sammelstiftungen und Gemeinschaftseinrichtungen die grössten Veränderungen oder gar Überraschungen?
Florian Schreiber: Wir Wissenschaftler verlassen uns gerne auf unsere statistisch belegbaren Erkenntnisse, sodass ich bereits heute gespannt auf die Auswertungen im nächsten Jahr blicke.
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Prof. Dr. Florian Schreiber
Florian Schreiber studierte an Universitäten in Deutschland, der Schweiz und den USA. Seit 2019 hält er eine Professur am Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) und ist verantwortlich für sämtliche versicherungsspezifischen Themen. Seit 2021 publiziert er die jährliche IFZ-Studie Vorsorgeeinrichtungen.
Brigitte Succetti
Head Insurances & Collective Institutions
Brigitte Succetti verantwortet im Bereich institutioneller Kunden die Betreuung von Sammelstiftungen und Schweizer Versicherungen. Zudem ist sie verantwortlich für die Beratung berufliche Vorsorge für Unternehmen und stellt die Fachführerschaft bei Sammel- und Gemeinschaftsstiftungen sicher. Sie arbeitet seit 30 Jahren bei ÃÛ¶¹ÊÓÆµ und verfügt über grosse Erfahrung in der Kundenbetreuung unterschiedlicher anspruchsvoller Kundengruppen. Brigitte Succetti hält einen Bachelor in Betriebsökonomie und verfügt über ein CCoB.
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