David Card ist ein bescheidener Wirtschaftswissenschaftler. Aber auch wenn er sich selbst als ?einfachen Mann" bezeichnet, war seine Karriere alles andere als das. Von einer Farm in Kanada bis hin zur Nobelpreisb¨¹hne hat sich Card mit einer Vielzahl von Fragen und Themen auseinandergesetzt, die von Mindestl?hnen, Lohnungleichheit und Einkommensverteilung bis hin zu Schulsegregation, Geschlechtergleichstellung, Migration und Einwanderung sowie Arbeitsvertr?gen reichen, um nur einige zu nennen. Seine Beitr?ge waren enorm. Alles begann in einer schicksalhaften Nacht, als seine damalige Freundin, die Wirtschaft studierte, w?hrend er Physik als Hauptfach belegte, ihn um Hilfe bei einer bestimmten mathematischen Formel bat. Ein Abschnitt ¨¹ber Agrarm?rkte, ein Gebiet, in dem er sich nach all den Jahren auf einem Bauernhof gut auskannte, war besonders aufschlussreich. Er las das gesamte Lehrbuch in ein paar Tagen, belegte seinen ersten Wirtschaftskurs, und der Rest ist Geschichte.

Foto von David E. Card

David E. Card

Alfred-Nobel-Ged?chtnispreis f¨¹r Wirtschaftswissenschaften, 2021

Auf einen Blick

Geboren: 1956, Guelph, Kanada

Feld: Arbeits?konomie

Ausgezeichnet: Alfred-Nobel-Ged?chtnispreis f¨¹r Wirtschaftswissenschaften, 2021 (anteilig)

Ausgezeichnetes Werk: Methodische Beitr?ge zur Analyse von Kausalbeziehungen

Die Verbindung zwischen K¨¹hen und Doktortiteln: Das Aufwachsen auf einem Milchviehbetrieb war f¨¹r ihn ein gutes Training f¨¹r das reglementierte, akademische Leben

Rockstar-Probleme: Nach mehr als vier Jahrzehnten Forschung sagt er, dass die Menschen manchmal mehr an den Klassikern interessiert sind, als an den neuen Hits

Wichtige Lebensweisheit: ?Das Perfekte darf nicht der Feind des Guten sein"

Ein fehlendes St¨¹ck: Er ist der festen ?berzeugung, dass der verstorbene Wirtschaftswissenschaftler und langj?hrige Mitarbeiter Alan Krueger den Preis geteilt h?tte, wenn er noch am Leben w?re

Die Bedeutung und das menschliche Element der Arbeits?konomie

Card wird der Erste sein, der zugibt, dass sein Zweig der Wirtschaftswissenschaften, die Arbeits?konomie, in mancher Hinsicht als ¨¹berraschend unwichtig angesehen wird. W?hrend angehende ?konomen in den Arbeitsmarkt und die L?hne eingef¨¹hrt werden, besch?ftigen sie sich mit Zinss?tzen, Arbeitslosigkeit und den eher makro?konomischen, abstrakten Aspekten. F¨¹r Card ist die Arbeits?konomie jedoch einer der am ehesten greifbaren Zweige des Fachgebiets.

?Wir sind deshalb so wichtig, weil wir bereits in den 1980er Jahren damit begonnen haben, grosse Mikrodatens?tze zur Untersuchung von Menschen zu verwenden", sagt Card. ?Und wir haben uns auf Fragen konzentriert, wie Menschen auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich sind oder scheitern, warum Menschen arm sind, warum Menschen arbeitslos sind oder ob es wertvoll ist, mehr Bildung zu haben. Diese Art von Fragen sind sehr wichtig."

Aufgrund der Konzentration auf grosse Datens?tze und beil?ufige Fragen ist die Arbeits?konomie laut Card wissenschaftlicher und hat auch den Rest der Wirtschaftswissenschaften beeinflusst, sich in diese Richtung zu bewegen. Arbeits?konomen, sagt er, besch?ftigen sich viel mehr mit der Frage, was getan wird und wie man es analysiert.

Wir haben uns auf die Fragen konzentriert, wie Menschen auf dem Arbeitsmarkt Erfolg haben oder scheitern, warum Menschen arm sind, warum Menschen arbeitslos sind oder ob es wertvoll ist, mehr Bildung zu haben.

War diese Frage inspirierend f¨¹r Sie?

Dann lassen Sie sich die neusten Nobel Perspectives senden.

Wer verdient was und warum

Eines der Themen, zu denen Card geforscht hat und das ihn am meisten interessiert, sind die Lohnungleichheit und die treibenden Kr?fte dahinter. Im Wesentlichen geht es darum zu untersuchen, wie viel eine Person im Vergleich zu einer anderen verdient und warum. Laut Card h?ngt die Lohnungleichheit von Faktoren wie Bildung, Geschlecht, ethnischer Zugeh?rigkeit, Wohnort und anderen Faktoren ab, die sich nicht wirklich quantifizieren lassen, wie etwa mathematische F?higkeiten, Ehrgeiz und die Bereitschaft, hart zu arbeiten. Eine seiner j¨¹ngeren Studien befasste sich mit der Lohnungleichheit in Brasilien.

?Die H?lfte der brasilianischen Bev?lkerung gilt als nicht-weiss und fast alle Brasilianer sind heutzutage ¨¹ber Fragen der ethnischen Ungleichheit besorgt", sagt Card. ?Gl¨¹cklicherweise verf¨¹gt Brasilien ¨¹ber qualitativ hochwertige Daten, die es erm?glichen, die Einstellungsentscheidungen einzelner Arbeitgeber zu untersuchen, so dass Sie im Laufe der Zeit verfolgen k?nnen, was mit weissen und nicht-weissen Arbeitnehmern an einem bestimmten Ort geschieht."

?Was Sie sehen, ist ein systematisches Muster, bei dem Unternehmen, die tendenziell h?here L?hne zahlen, dazu neigen, weniger nicht-weisse Arbeitnehmer einzustellen", f?hrt er fort. ?Und dieses Muster bleibt auch dann bestehen, wenn Sie sich die Zusammensetzung aller Mitarbeiter um sie herum ansehen. Wir haben gezeigt, dass dieser Unterschied in den Einstellungsmustern f¨¹r 20 bis 30 Prozent des rassistischen Lohngef?lles in Brasilien verantwortlich ist."

Was treibt die Lohnungleichheit an

Die Mindestlohndebatte

Die Arbeit, f¨¹r die Card vielleicht am meisten bekannt ist, ist seine Forschung ¨¹ber den Mindestlohn. Sie begann vor fast 30 Jahren mit Fast Food-Ketten. New Jersey hatte eine Erh?hung des Mindestlohns vorgeschlagen, was Card und seinem Co-Forscher zu diesem Thema, Alan Krueger, Zeit gab, Interviews zu f¨¹hren, bevor die Erh?hung in Kraft trat, und dann eine vergleichende Studie mit den Nachbarstaaten durchzuf¨¹hren, in denen es keine Ver?nderung geben w¨¹rde. Sie stellten fest, dass die Besch?ftigungsquoten nach der Anhebung tats?chlich stiegen, was zu erheblichen Gegenreaktionen f¨¹hrte.

?Es gab eine ganze Reihe negativer Kommentare in popul?ren Zeitschriften. Auch andere ?konomen haben sich zu Wort gemeldet, vor allem die konservativeren", sagt Card. ?Sie dachten, wir h?tten die Daten vermasselt und w¨¹ssten nicht, was wir tun. Sie dachten auch, dass wir die Daten irgendwie falsch interpretiert h?tten, dass wir etwas anderes nicht ganz verstanden h?tten und dass wir sehr ideologisch versuchten, die Idee der Erh?hung des Mindestlohns voranzutreiben. Wir haben daraufhin ein Buch ¨¹ber Mindestl?hne geschrieben und in diesem Buch haben wir nicht ein einziges Mal gesagt, dass man den Mindestlohn erh?hen oder senken sollte. Wir haben versucht, uns davon fernzuhalten und es eher als eine Frage dar¨¹ber zu betrachten, wie der Arbeitsmarkt funktioniert."

W?hrend Card in dieser Zeit seiner Karriere eine umstrittene Figur war, hat sich das Blatt gewendet. W?hrend in den alten Wirtschaftslehrb¨¹chern der Mindestlohn als eine weitgehend schreckliche Idee beschrieben wurde, wurden diese Abschnitte allm?hlich entfernt. Heute liest man in den Textb¨¹chern, dass der Mindestlohn vielleicht doch nicht so schlimm ist. Und diese neuen Texte basieren weitgehend auf den Erkenntnissen von Card.

?Ich w¨¹rde sagen, dass die Ansichten der j¨¹ngeren ?konomen ein wenig mehr mit den Ergebnissen unserer Studie ¨¹bereinstimmen, m?glicherweise weil unsere Studie in die Lehrb¨¹cher Eingang gefunden hat", sagt Card. ?Unsere Ergebnisse beweisen nicht unbedingt, dass man den Mindestlohn erh?hen sollte. Unsere Ergebnisse wollten sagen, dass der Arbeitsmarkt anders funktioniert, als die Leute denken."

Anhebung des Mindestlohns

Unsere Ergebnisse wollten sagen, dass der Arbeitsmarkt anders funktioniert, als die Leute denken.

Auswirkungen von Migration auf lokale Arbeitsm?rkte

Card beschreibt ein nat¨¹rliches Experiment als einen Vorfall oder eine Episode, bei der etwas sehr Spezielles und Unerwartetes an einem Ort passiert und an anderen nicht. Dadurch wird die M?glichkeit geschaffen, die Wirkung dieser Episode an dem Ort, an dem sie passiert ist, mit anderen Orten zu vergleichen. Die Mariel-Bootskrise, eine Massenauswanderung von Kubanern nach Miami im Jahr 1980, bot Card die Gelegenheit, die Auswirkungen von Migration und Einwanderung auf einen lokalen Arbeitsmarkt zu untersuchen.

?Dadurch stieg die Zahl der weniger qualifizierten Arbeitskr?fte, die in Miami nach Arbeit suchten, ziemlich stark an", sagt Card. ?Ich habe also verglichen, was in Miami passiert ist und was in vier anderen St?dten passiert ist, die die Kontrollgruppe waren."

In dieser Studie stellte Card fest, dass der grosse Zustrom von Arbeitskr?ften nach Miami weder zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit noch zu einer Senkung der L?hne im Vergleich zu anderen St?dten f¨¹hrte, was einige bef¨¹rchtet hatten. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind laut Card nuancierter, weil Migration und Einwanderung f¨¹r die Menschen emotionalere Themen sind als beispielsweise der Mindestlohn.

?Sie k?nnen immer einige ?konomen finden, die sagen, dass Einwanderung schrecklich ist", sagt Card. ?Aber in der Vergangenheit wurde die Einwanderung von den meisten ?konomen als positive Kraft f¨¹r die Wirtschaft angesehen. Und die einzige Sorge in Bezug auf die Einwanderung war, dass sie sich negativ auf gering qualifizierte Arbeitnehmer auswirken k?nnte, die mit gering qualifizierten Einwanderern im Wettbewerb stehen. Und ich w¨¹rde sagen, dass einige meiner Untersuchungen und viele Untersuchungen anderer Leute darauf hindeuten, dass diese negativen Auswirkungen ziemlich gering sind."

Historisch gesehen wurde Einwanderung von den meisten ?konomen als positive Kraft f¨¹r die Wirtschaft angesehen.

Migration, Einwanderung und der Arbeitsmarkt

Blick nach vorn

Card war nie darauf aus, sich auf politische Themen zu konzentrieren, noch macht er politische Handlungsvorschl?ge. Doch seine Arbeit hat die Funktionsweise vieler Komponenten des Arbeitsmarktes grundlegend ver?ndert. Mit seinem derzeitigen Schwerpunkt auf standortbedingten Lohnunterschieden k?nnten also weitere von Card inspirierte Ver?nderungen bevorstehen.

?Lange Zeit war das sehr schwer zu bewerkstelligen. Die Daten f¨¹r eine solche Analyse der Lohnunterschiede in den Vereinigten Staaten sind gerade erst verf¨¹gbar geworden", sagt Card. ?Ich versuche zu verstehen, was es mit bestimmten Gegenden in den Vereinigten Staaten auf sich hat, in denen Menschen mit einem relativ bescheidenen Bildungsniveau anscheinend nur sehr begrenzte Arbeitsm?glichkeiten haben. Und dieser Kreislauf scheint sich zu wiederholen, so dass es auch den Kindern, die dort aufwachsen, nicht besonders gut geht. Ich versuche zu verstehen, warum das so ist. Was ist mit diesen Regionen los? Warum investieren die Arbeitgeber nicht dort?"

Er konzentriert sich zwar im Moment auf Daten aus den USA, aber die Frage, warum die L?hne an manchen Orten enorm h?her sind als in anderen, stellt sich in fast jedem Land.

Wenn wir hier ein wenig vorankommen k?nnten, w¨¹rde uns das wirklich helfen, zu verstehen, wie der Arbeitsmarkt und die Gesellschaft funktionieren.

?Einiges davon scheint damit zusammenzuh?ngen, wo sich Arbeitgeber ansiedeln wollen und bereit sind, dort h?here L?hne zu zahlen", sagt er. ?Arbeitnehmer, die zum Beispiel in Nordkalifornien arbeiten, verdienen im Vergleich zu anderen Teilen des Landes einen hohen Lohnaufschlag, aber es ist extrem teuer, hier zu leben. Arbeitnehmer, die von einem Ort zum anderen umziehen, konnten zwar einige Lohnzuw?chse verzeichnen, aber nicht genug, um die Kosten daf¨¹r tats?chlich auszugleichen. In Grossbritannien gilt das Gleiche f¨¹r London im Vergleich zum Rest des Landes. Es ist schwer zu sagen, wie man das beheben kann oder was man dagegen empfehlen kann."

Die Komplexit?t, die in den ?rtlichen Lohnunterschieden und den wirtschaftlichen Gegebenheiten liegt, tr?gt ebenfalls zu den Schwierigkeiten bei, die sich bei einem Vorschlag f¨¹r einen nationalen Mindestlohn ergeben w¨¹rden. Dies unterstreicht noch einmal die Ansicht von Card, dass die Arbeits?konomie nicht nur wichtig, sondern entscheidend f¨¹r die Wirtschaftswissenschaften ist.

?Es gibt in jedem Land Teile, in denen es nicht gut l?uft, und wir verstehen nicht wirklich, warum", sagt Card. ?Wenn wir dort ein wenig vorankommen k?nnten, w¨¹rde uns das wirklich helfen, zu verstehen, wie der Arbeitsmarkt und die Gesellschaft funktionieren."

Andere fragten auch

Warum sollten L?nder bessere Wege finden, um zu wachsen?

H?ren Sie dazu die Meinung von Michael Spence und wie L?nder nachhaltiges Wachstum generieren und dabei langfristig einen positiven Effekt erzeugen k?nnen.

Weitere Stories von Nobelpreistr?gern

Foto von Joseph E. Stiglitz

Kann die ?konomie eine ungleiche Einkommensverteilung ausgleichen?

Joseph E. Stiglitz

Nobelpreistr?ger,?2001

Foto von Paul R. Krugman

Wie k?nnen wir Ungleichheit entgegenwirken?

Paul R. Krugman

Nobelpreistr?ger,?2008

Foto von Michael R. Kremer

K?nnen Mikro-Experimente die Welt retten?

Michael R. Kremer

Nobelpreistr?ger,?2019

War diese Frage inspirierend f¨¹r Sie?

Dann lassen Sie sich die neusten Nobel Perspectives senden.