Nur wenige bestreiten die Existenz des einen Prozents in der Gesellschaft. Und man kann sich leicht vorstellen, dass diese Leute neben dem finanziellen Erfolg auch noch gl¨¹cklich und gesund sind.
Sir Angus S. Deaton weiss es besser. Er hat Antworten auf Fragen, die an das Philosophische grenzen, wenngleich seine Forschung zu Armut und Zufriedenheit stark auf die Wirtschaft ausgerichtet ist.

Er betont, dass Entwicklungshilfe nicht losgel?st von den internen Belangen des Geberstaates funktioniert, dass eine Weltbank keine Weltbank ist, wenn sie von den Vereinigten Staaten dominiert wird, und dass in einem Land trotz einer wachsenden Wirtschaft nahezu alle B¨¹rger unterern?hrt sein k?nnen.

Bei einem Blick auf das B¨¹cherregal von Deaton springen einem drei W?rter ins Auge: Der grosse Ausbruch. Das k?nnte das entscheidende Werk seines Lebens sein. Es k?nnte aber auch die Agenda daf¨¹r sein, den Traum von Wohlergehen und Wohlstand f¨¹r jedermann ¨¹berall auf der Welt wahr werden zu lassen. Deaton ist ein schottischer Auswanderer Migrant, dessen Fliege aus dem Gewirr der Gesch?ftsanz¨¹ge heraussticht. In armen Verh?ltnissen aufgewachsen, lernte er schnell, dass Bildung und harte Arbeit der Schl¨¹ssel zum Fortschritt sind, und uns allen dar¨¹ber hinaus ein reicheres Leben bescheren kann.

Die Erkenntnisse von Deaton zur wirtschaftlichen Analyse kann man seinem Hintergrund zuschreiben. Doch das Werk, das er im Laufe seiner Karriere geschaffen hat, steht f¨¹r sich allein. Seine Artikel hatten einen grossen Einfluss und das Nobelpreis-Komitee hat jedes einzelne seiner Resultate gelobt und den ihm verliehenen Nobelpreis schliesslich als Auszeichnung f¨¹r sein Lebenswerk bezeichnet.

Sir Angus S. Deaton

Sir Angus S. Deaton

Alfred-Nobel-Ged?chtnispreis f¨¹r Wirtschaftswissenschaften, ?2015

Auf einen Blick

Geboren: 1945, Edinburgh, Scotland

Fachgebiet: Mikro- und Entwicklungs?konomie

Ausgezeichnetes Werk: Analyse von Konsum, Armut und Wohlfahrt

Markenzeichen: Bunte Fliegen

Gesprochener Dialekt: Wurde in der Schule wegen seines schottischen Dialekts verspottet

S¨¹chtig nach: Lesen

Sollten die Reichen mit den Armen teilen?

Die Strasse, die zu seinem Haus f¨¹hrt, scheint direkt einem Gem?lde von Norman Rockwell entsprungen zu sein. Sprinkler w?ssern den perfekt gem?hten Rasen und Kinder spielen in der Einfahrt Basketball, w?hrend sich kleine Eichh?rnchen gerade ausserhalb der Reichweite des aufprallenden Balls aufhalten. Wenn es den amerikanischen Traum noch gibt, dann hier. Durch sein Wohnzimmerfenster h?rt man den ?konomen auf seinem Fl¨¹gel spielen ¨C es ist die Mondscheinsonate von Beethoven. Aber Deaton sieht seinen Wohlstand nicht als selbstverst?ndlich an. Sein eigener Weg nach Princeton, New Jersey, war lang.

?Es ist sehr schwierig, die vereinfachende Sichtweise zu ¨¹berwinden, dass es dir ¨C wenn du arm bist und ich reich bin und dir Geld gebe ¨C dadurch besser gehen wird?, sagt er. ?Das trifft nicht auf Staaten zu.?

In einem intensiven Gespr?ch ¨¹ber Entwicklungshilfe, Globalisierung und Diktaturen sagt Deaton, dass USAID ¨C die US-Beh?rde f¨¹r internationale Entwicklung ¨C oder die Weltbank in seinen Augen Geld in ein kaputtes System pumpen, wenn sie einem anderen Land, welches zu Recht Hilfe verdient, Spenden zukommen lassen. Seiner Meinung nach verlagert dieser Zustrom fremder Gelder die Verantwortung der Regierung auf die Geber und weg vom Land selbst. Dies ver?ndert die Arbeitsweise der Regierungen und macht Entwicklung letztlich unm?glich.

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Ist Entwicklungshilfe ein Fass ohne Boden?

Ist Entwicklungshilfe sinnvoll?

?Sagen wir, Sie leben in einem kleinen Dorf und nebenan zieht jemand ein?, erkl?rt er. ?Es handelt sich um einen Mann, der einer seltsamen Sekte angeh?rt. Er hat strenge religi?se ?berzeugungen und sieht seine Frau beispielsweise als seine Sklavin an. Die Ehefrau ist sehr arm und muss schreckliche Dinge tun. Man w¨¹rde ja etwas unternehmen wollen, um das Leben der Frau zu verbessern, richtig? Entwicklungshilfe ist so, als w¨¹rde man dem Ehemann Geld geben. Und es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass es etwas bringt. Denn das Problem hierbei ist, dass die arme Person, in diesem Fall die Ehefrau, in einer Machtbeziehung mit jemandem gefangen ist, der nicht an ihrem Wohlergehen interessiert ist. Man kann es sich so vorstellen, dass die armen Menschen in vielen L?ndern in einer Beziehung mit einer r¨¹cksichtslosen Regierung gefangen sind. Ich denke, das ist ein hilfreicher Vergleich.?

Wie l?sst sich Armut messen?

Armut ist ein sehr komplexes Problem und nicht einfach nur der Mangel von Geld oder Investitionen. Die Wirtschaft in Indien beispielsweise w?chst rasant, doch f¨¹r Deaton ist das kein Indiz daf¨¹r, dass das Land seinen B¨¹rgern ein besseres Leben erm?glicht.

?Man kann viel Geld besitzen und dennoch einen sehr schlechten Gesundheitszustand haben und denken, man sei arm?, sagt er. ?Die Kinder in Indien sind unterern?hrt und doch wachsen ihr Einkommen und ihr Konsum.?

Wie Deaton in seiner Kindheit selbst erlebt hat, ist wenig Geld zu haben nicht unbedingt ein Zeichen von Armut. ?Als ich aufgewachsen bin, gab es in unserem Umfeld sicherlich kaum Geld?, erinnert er sich. ?Aber ich glaube, mir war nicht bewusst, dass ich arm bin. Wir hatten kein Auto, aber wir hatten Ferien. Und wir lebten nicht in einem furchtbaren Armenviertel, sondern in einem sehr sch?nen Teil von Edinburgh. Damals, in den 60ern, gingen in Grossbritannien ohnehin nicht viele Kinder zur Universit?t.?

Wie l?sst sich Armut messen?

Was brauchen die Menschen, um gl¨¹cklich zu sein?

Deaton sitzt in seinem Sessel im Wohnzimmer, dessen Interieur europ?ischen Chic ausstrahlt. Oberfl?chlich betrachtet, bietet sich das ¨¹bliche Bild von Wohlstand. Umgeben von wertvollen Antiquit?ten, beschreibt er Gl¨¹ck und Zufriedenheit als eine komplizierte Sache. ?Habe ich in meinem Leben eine Menge Gl¨¹ck empfunden? Ja?, sagt er. ?Habe ich in meinem Leben eine Menge Traurigkeit erlebt? Ja. Gab es in meinem Leben eine Menge Elend? Ja. Ich denke daher, ein gutes Leben beinhaltet sowohl jede Menge negative als auch positive Emotionen.?

Wenngleich Deaton auf seinen Vater verweisen k?nnte als ein Beispiel f¨¹r ein Leben voller Entbehrung, welches den Grundstein f¨¹r seine eigenen Werte legte, so ber¨¹hrten ihn doch Menschen aus allen Lebensbereichen. Er k?nnte von den Menschen in Ruanda erz?hlen oder von dem Chinesen, den er einst traf, der als Kind keine Schuhe besass und heute Multimillion?r ist. M?rchen? Nein, aber der Beweis daf¨¹r, dass ein Ausbruch aus der Armut immer m?glich ist. ?Viele Menschen haben diesen Ausbruch geschafft?, erl?utert Deaton. Er betont jedoch, dass es mehr als einer Person bedarf, um der Gesellschaft zu helfen und etwas zu ver?ndern.

Die grosse Trag?die ist, dass es viele Menschen auf der ganzen Welt gibt, die immer noch extrem arm sind. Die Frage ist also, was kann man dagegen tun? Und wer sollte es tun?

Wie kann Entwicklungshilfe auf effektive Weise geleistet werden?

Wann sollten reiche L?nder aufh?ren, Geld an arme L?nder zu transferieren, fragt Deaton, und wie k?nnten sie anfangen, in Dinge zu investieren, die uns allen zugutekommen? Gibt es ¨¹berhaupt eine Art von Unterst¨¹tzung die uneigenn¨¹tzig und zweckm?ssig ist ¨C Hilfe, die das Wohlergehen aller f?rdert?

Gesundheit mag ein naheliegendes Beispiel sein. Es zeigt aber, dass die L?nder nach wie vor zuerst an die Gesundheit der eigenen B¨¹rger denken, denn es wird Geld in die Erforschung von Krankheiten investiert, welche die Menschen einer bestimmten Bev?lkerungsgruppe betreffen. ?Die USA beispielsweise geben nicht besonders viel Geld f¨¹r die Malariaforschung aus?, erkl?rt er. ?Im Vergleich zu Krebs- oder Herzerkrankungen, die bei den Amerikanern sehr h?ufig vorkommen.?

Er nennt ein weiteres Beispiel von wohlhabenderen Nationen, die komplett versagt haben. Die globale Aids-Krise f¨¹hrte dazu, dass Hilfe in die Entwicklung antiretroviraler Medikamente f¨¹r HIV-positive Menschen floss. Die Weltgemeinschaft k?nnte von diesen Erfolgen aus der Vergangenheit lernen und sie in ?hnlichen Situationen wiederholen.

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Sollten wir eine kostenfreie internationale Gesundheitsversorgung bereitstellen?

Zwingt uns der Extremismus dazu, eine neue Form von Idealismus zu entwickeln?

Ein stockendes Wirtschaftswachstum und eine zunehmende Ungleichheit f¨¹hren in jedem Land dazu, dass sich Menschen zur¨¹ckgelassen f¨¹hlen. Ihre Wut wird zum Motor f¨¹r politische Alternativen und letztendlich schadet Wut h?ufig der Menschheit. Egal ob Ausgrenzung von rechts oder Linksradikalismus in Terrorismus in seiner grausamsten Form m¨¹nden, die Auswirkungen sp¨¹ren wir alle.

Deshalb erinnern uns ?konomen wie Deaton daran, nicht nur an uns selbst zu denken.
Er ruft uns in Erinnerung, dass die Menschheit keinen universellen, pauschalen Idealismus parat hat, und dass es Frieden und Liebe nicht f¨¹r jeden gibt. Wir m¨¹ssen offen genug sein, um auch die Bed¨¹rfnisse derer zu ber¨¹cksichtigen, die anderen gegen¨¹ber Groll und Abneigung hegen und Wege finden, diese Gef¨¹hle zu ?ndern.

?Wir brauchen viel mehr Verst?ndnis f¨¹r die Not der Menschen, die abgeh?ngt sind, als ich es in den Vereinigten Staaten erlebe?, sagt er.

Diese Menschen m?gen Ansichten haben, die wir absolut nicht teilen und die wir in vielerlei Hinsicht verwerflich finden, doch sie klagen wahrlich nicht ohne Grund. Sie haben schon seit langem seit einer langen Zeit Schlimmes erlebt. Ich denke, wir m¨¹ssen das beenden.

Indem wir Amerika wieder grossartig machen? Deaton z?gert und schaut besorgt. ?Ich w¨¹rde lieber wieder Politik f¨¹r benachteiligte Menschen machen, als mich um eine komplett neue Form von Partei zu bem¨¹hen.? F¨¹r Deaton gilt das nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa. ?Ich weiss nicht, wie eine komplett neue Art der Politik aussieht, eine faschistische Diktatur jedenfalls erscheint mir nicht als erstrebenswert?, sagt er nachdenklich.

Warum f¨¹hrt Ungleichheit zu Faschismus?

Ist ein reiches Leben f¨¹r jeden m?glich?

Als ?konom hebt sich Deaton von anderen ab als einer der wenigen Preistr?ger, denen der Nobelpreis nicht f¨¹r ein bestimmtes Werk verliehen wurde. Im Jahr 2015 f¨¹hrte die grosse Bandbreite seiner Themen zu einem neuen Verst?ndnis von Konsum, Armut und Wohlfahrt. Doch auch der Nobelpreis hat seinen Preis. Deaton gesteht, dass er kein so guter Vater war, wie er hatte sein wollen und dass ihn oft ein schlechtes Gewissen plagt, weil er nicht genug Zeit mit seiner Tochter und seinem Sohn verbracht hat. Ein reiches Leben, so sagt er, ist eine Kombination aus einer ganzen Reihe von Emotionen und Problemen. Diese Gef¨¹hle existieren in allen Gesellschaftsschichten.

Es mag viele Gr¨¹nde zur Besorgnis geben, doch Deaton beendet kein Gespr?ch ohne eine Inspiration zum Abschied. ?Mein Vater wurde 1918 in diesem Bergarbeiterdorf in England geboren und nun werden seine Urenkelinnen und sein Urenkel in Anbetracht des Fortschritts wahrscheinlich noch 100 Jahre leben?, sagt er. ?F¨¹r unsere Familie ist das ein unglaublicher Aufstieg und wir haben es geschafft durch Bildung, durch Migration und durch harte Arbeit.?

Haben wir heute wirklich mehr Chancen auf eine bessere Gesundheit und gr?ssere Zufriedenheit als unsere Vorfahren? Niemand weiss das so genau. Aber wir haben diverse M?glichkeiten, erfolgreich zu sein. Als Deaton in sein Arbeitszimmer zur¨¹ckkehrt, ist es Zeit, die ?American Dream Avenue? wieder zu verlassen. Zeit, die ?rmel hochzukrempeln und sich wieder an die Arbeit zu machen ¨C diese Welt wird sich nicht von selbst retten.

Ist die Elite gl¨¹cklicher als der Durchschnittsb¨¹rger?

Warum sollten L?nder bessere Wege finden, um zu wachsen?

H?ren Sie dazu die Meinung von Michael Spence und wie L?nder nachhaltiges Wachstum generieren und dabei langfristig einen positiven Effekt erzeugen k?nnen.

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